Keine Zeit für die eigene Kindheit

Als Mutter ist man ja ständigen Vergleichen ausgesetzt. Frei nach dem Motto „Mein Haus, mein Auto, mein Kind“ werden die Riesentalente und Fortschritte der Sprösslinge ausgebreitet. Da sind wir stolz wie Bolle – klar, die Mutti-Chauffeurdienste sollen sich ja auch auszahlen. Und wo fahren wir sie nicht überall hin, die lieben Kleinen. Pekip, Krabbelgruppe, Kinderturnen, Ballschule. Schule der Fantasie und musikalische Früherziehung. Danach kommt die nächste Stufe: Leichtathletik, Tennis, Ballett oder Fußball. Block- und Altflöte – oder gleich Klavier? Kindermalkurs oder Gestalten mit Ton. Und wenn wir dann gefragt werden, ob unser Kind in der Mannschaft spielen will (samstags zwei Stunden Training zusätzlich und entweder dienstags oder donnerstags Turniere), sind wir begeistert. Denn ist das nicht ein klares Zeichen dafür, dass unsere Kinder wirklich Talent haben?

Wenn das alles so spitze ist und wir unseren Kindern damit so viel Gutes tun, warum nur fragt ihr mich dann so oft, ob ich zu diesem Thema mal was schreiben kann?

„Über überengagierte Eltern, deren Kinder schon mit 7 Jahren die zweite Fremdsprache lernen müssen (weil sie ja im Urlaub in Frankreich schon einmal unfallfrei 2 Croissants und 1 Brötchen beim Bäcker bestellen könnten), hübsch in alle Kurse rein und gar keine Zeit mehr zum Draußen spielen und für soziale Kontakte? Das bewegt mich immer wieder.“

„Haben die Kiddies eigentlich noch Zeit zum Spielen?! Dazu würde mich Deine Meinung mal interessieren. Ich bin Mama von 4 Kindern (24, 22, 11 und 9 Jahre). Ich finde es heute viel schwieriger als noch vor 10 Jahren, die Termine meiner beiden Kleinen so zu koordinieren, dass auch noch Zeit zum einfachen Spielen bleibt. Hier Schwimmkurs, dort Reiten, vielleicht nochmal zum Musikunterricht – ich mache da nicht mehr mit! Und werde darum oft von anderen Müttern dumm angemacht: “Du musst doch Deine Kinder fördern, soviel wie nur eben geht!!!” Ja, fördern, aber doch nicht überfordern! (…) Wie siehst Du das? Schütten wir Mütter unsere Kinder mit Terminen zu? Natürlich nur, um sie bestmöglichst fürs Leben vorzubereiten?“

Wenn ich solche Post von euch bekomme, geht mir das Herz auf. Natürlich wollen wir alle das Beste für unsere Kinder. Und ihr hört genau hin und merkt: das vermeintlich Beste ist eben nicht immer wirklich das Beste. Auch bei uns Erwachsenen sind es in den letzten Jahren immer mehr Termine geworden – nicht zuletzt durch das Internet, denn die Zeit bei facebook vorbeizuschauen und die Mails zu checken muss natürlich auch jeden Tag drin sein. Dass in dieser – wie man so schön sagt – „schnellen Zeit“ auch unsere Kinder mehr Termine haben als früher, wundert mich gar nicht. Doch dieses „Schneller, schneller“ birgt tatsächlich die Gefahr, die eigene Kindheit zu verpassen.

Wenn ihr meine Meinung dazu hören wollt: Ich halte gar nichts von der Überfrachtung unserer Kinder mit Terminen. Meine Kinder werden ihre erste Fremdsprache in der Schule lernen. Warum sonst steht sie dort auf dem Lehrplan? Mein Sohn ist 6 ½ und kann nicht schwimmen – weil ER noch keine Lust auf einen Schwimmkurs hatte. Meine Tochter spielt „nur“ einmal in der Woche Tennis und hat sonst jeden Nachmittag frei. Mein Sohn war auch Mal in ihrer Trainingsgruppe und hatte dann aber über Monate wenig Lust. Jetzt habe ich ihn rausgenommen. Und ob ihr es glaubt oder nicht: mein Sohn macht jetzt gar nichts mehr – und findet das spitze.

Ist doch auch OK. Er kommt doch eh nach dem Sommer in die Schule und dann kommt die Mittagsmüdigkeit und das Einschießen auf die Hausaufgaben und das Stillsitzen. Vielleicht lernt er dann ein paar Jungen kennen, die in der Pause immer Fußballspielen. Und vielleicht hat er dann Lust, in einen Fußballverein zu gehen. Aber vielleicht kickt er auch nur gerne in der Pause und das war’s. Soll er sich doch in seinem Tempo entwickeln, nicht in meinem für ihn im Voraus geplanten.

Meine Kinder müssen nichts können. Sie müssen sich wohlfühlen. Sie sollen 6 und 8 sein und genau das genießen. Mit Nachmittagen, an denen wir das große Plantschbecken aufblasen und ich in der Badepause Waffeln backe. An denen wir zum Erdbeerfeld gehen und naschen, bis wir Bauchschmerzen haben. An denen sie mit ihren Freunden spielen: Verkleiden, Mord in der Disco und „Den Boden nicht berühren“. Oder an denen sie einen Kuckuck hören und dann mit meinem Mann durch die Siedlung laufen, um ihn zu finden.

Meine Kinder wollen was erleben und die Welt verstehen. Wie werden aus Kaulquappen Frösche? Das erklärt man am Besten, wenn man Kaulquappen im Gebirgstümpel fängt, sie bei den Nachbarn in den Gartenteich setzt und jeden Tag schaut, wie sie aussehen. Und wenn sie vorher von Nachbars Katzen gefressen werden, hat man auch wieder was gelernt: Über die Evolution, den Kreislauf des Lebens und dass nichts so schlimm ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Wer auch findet, dass das wichtiger ist, als den Daumen richtig aufs Flötenloch zu setzen, damit der Ton nicht mehr schief rauskommt, darf gerne die Hand heben. Und mitmachen.

In diesem Sinne

Eure Svenja

P.S.: Wann habt ihr eigentlich das letzte Mal einen ganzen Nachmittag lang mit Freunden Steine übers Wasser springen lassen?

 

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