Too close to home

Ihr Lieben,

zuerst muss ich mich bei euch bedanken. Weil IHR meinen Facebookpost gestern so oft geteilt habt, haben die Polizisten, die ich an der Edeka Kasse getroffen habe, ihn entdeckt. Und mir geschrieben.

Hier nochmal der Post, für die, die ihn nicht gesehen haben:

Bildschirmfoto 2016-07-24 um 07.18.08Dazu hatte ich mit zittrigen Händen noch ein Bild gemacht, auf dem die Polizisten nicht zu erkennen sind.

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Und eben weil ihr den Post so oft geteilt habt, haben sich dann zwei dieser Polizisten bei mir gemeldet. Einen habe ich gestern Nacht noch um Erlaubnis gefragt, ob ich seine Private Message an mich hier posten darf. Ich darf.

Bildschirmfoto 2016-07-24 um 07.23.10

Oh, wie ich Social Media liebe. Wie ich es liebe, dass wir alle gemeinsam was verändern können. Dass wir den Kreis von Traurigkeit und Hass durchbrechen können, wenn wir uns die Hand reichen. Wenn wir uns sagen, dass wir uns Wert schätzen. Wenn wir uns loben für das, was wir gut tun. Wenn wir menschlich mit unseren Mitmenschen umgehen.

Deshalb war ich auch sehr berührt von den Worten, die mein Mann Uwe für die Nacht von München fand:

Bildschirmfoto 2016-07-24 um 07.27.51

Mein Mann ist dem Thema “Warum Jugendliche gewalttätig werden” schon länger auf der Spur. Genaugenommen seit damals hier in München die Tragödie um Dominik Brunner passiert ist. Der Geschäftsmann wurde am S-Bahnhof in Solln von zwei Jugendlichen ermordet.

Weil die Familie eines dieser Jugendlichen in unserer unmittelbaren Nähe wohnte und wir uns vom Sehen, von Kindergartenfesten und Ähnlichem kannten, hat mein Mann – der ja Regisseur ist – damals eine Dokumentation über den Fall gedreht.

https://www.youtube.com/watch?v=hBztHsV5D1A

Uwe hat sich dazu wochenlang in das Thema: “Was bringt Jugendliche dazu, gewalttätig zu sein?” eingelesen. Als also gestern in den Nachrichten kam, dass im Zimmer des Täters das Buch “Amok im Kopf” gefunden wurde, musste ich nur in unsere Bibliothek gehen und es aus dem Regal nehmen.

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Ich sah, wie sich mein Mann mit Post its und Notizen durch das Buch gearbeitet hatte und dachte sofort: “Du warst schon vor ein paar Jahren auf dem richtigen Weg.” Denn Uwe wollte Täter, Opfer und Behörden an einen Tisch bringen, um im Gespräch miteinander herauszufinden, wie solche Taten in Zukunft vermieden werden können.

Wie wir es schaffen können, dass Menschen NICHT gewaltätig werden. Und zwar die Menschen, die sich nicht so anerkannt fühlen, wie es sich jeder Mensch wünscht. Die sich nicht so wahrgenommen fühlen, wie es jeder Mensch verdient hat.

Wie können wir das hinkriegen, weil wir als Gesellschaft im Vorfeld etwas richtig erkennen und machen? Auch damit wir nachher nicht über die Sinnlosigkeit solcher Taten und das verlorene Leben der Opfer trauern müssen.

Nicht nur mein Mann, der den Tag vom OEZ-Amoklauf im Antenne Bayern Radiostudio arbeitete – und dann auch die halbe Nacht dort verbrachte, weil sich die Lage in München so abrupt veränderte – bekam live durch Call ins mit, in welcher Panik die Augenzeugen waren.

Auch mein lieber Freund Andreas, mit dem ich damals immer wieder auf Kriseninterventionseinsätze  gefahren bin (ich habe darüber auch schon mal gebloggt), war mittendrin. Er war einer der ersten vor Ort, im OEZ. Nur kurz habe ich gestern mit ihm gesprochen, weil es um die Vermittlung eines Interviews ging.

Aber einmal mehr war ich tief beeindruckt von seiner Expertise und seiner Menschlichkeit. Glücklich, dass es Menschen wie ihn und seine Kollegen gibt, die sich solche Situationen zutrauen und Menschen helfen. Die gestern, nach dem Amoklauf, den Tag damit verbracht haben, gemeinsam mit der Polizei die Todesnachrichten zu überbringen. Bei den Angehörigen zu klingeln und das zu sagen, was unaussprechlich ist.

Jeder Münchner hat seine eigene Geschichte zum Amoklauf. Jeder war irgendwo, als alles losging. Kannte jemanden, der im Verkehr feststeckte oder der nachts nicht mehr nach Hause kam und Unterschlupf bei einer der vielen offenen Türen fand.

Das wurde mir gestern bewusst, als ab 15:00 nach und nach die Gäste eintrafen, die wir zu Ludwigs Klassenparty zum Grundschulabschluss eingeladen hatten.

Wir haben gestern mit vierzig Münchnern das Leben gefeiert. Die vier wunderschönen Jahre, die wir miteinander hatten. Alles was noch kommt. Im Bewusstsein, dass die Menschen, die Donnerstag verstorben sind, kein Fest mehr feiern werden. Obwohl viele von ihnen noch so jung waren.

Sie werden keinen Abschiedskuchen und kein Abschieds-Tiramisu mehr essen.

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Sie werden keine Wasserschlacht mehr machen und nicht mehr auf dem Trampolin springen.

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Nicht mehr mit ihren Mädels Hanni und Nanni schauen.

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Und nie mehr mit ihren Jungs die Köpfe über dem iPad zusammenstecken.

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Sie werden nicht mehr dasitzen, ihren Klassenkameraden beim Spielen zuschauen und einfach den Moment genießen.

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Auch eine Frau und Mutter ist bei dem Amoklauf im OEZ gestorben.

Sie wird nie mehr so eine Party für ihre Kinder geben.

Sie wurde der Chance beraubt, ihre Kinder glücklich zu machen.

Sie war 45 Jahre alt.

Genau wie ich.

Eure Svenja

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17 Kommentare

  1. Ach, Svenja, ich danke dir dafür, dass du auch hier mal wieder die richtigen Worte findest und mir an diesem grauen Sonntagmorgen die Tränen in die Augen treibst! Einen schönen Sonntag für dich und deine Familie! Liebe Grüße aus der Nähe deiner alten Heimat – aus Detmold, Mareike

  2. Bin zu Tränen gerührt durch deine Worte. Obwohl ich -zum Glück- 80-90 km entfernt wohne von München, habe ich es über eine liebe Kollegin fast live mitbekommen, was abgeht. Sie was zu der Zeit am OEZ und hat sich Gott sei Dank entschieden, erst die Schwiegereltern zu besuchen und dann ins OEZ zu gehen. Ich war total geschockt, was da grad abgeht und habe den ganzen Abend ntv geschaut. Zuerst dachte ich ja: nun ist der Terror also endgültig im schönen Bayernland angekommen. Muss gestehen, dass ich erleichtert war für einen kurzen Moment, dass es dich nicht so ist. Aber diese grausige Aktion ist deswegen nicht weniger schlimm. So viele junge Leute mussten sterben, die noch ihr Leben vor sich hatten, die Pläne hatten… Ich hab zwei Mädels (15 und 11) und ich bekomme echt Angst. Kann ich sie noch allein ins Einkaufszentrum lassen? Kann ich sie allein im Zug zur Tante fahren lassen? Ich möchte nicht an ihrem Grab stehen müssen. Da würde ich mich auch mit reinlegen.
    Man sollte helfen, ja. Aber diesem jungen Kerl war auch nicht zu helfen. So hart es klingt. Und bei vielen weiß man ja auch nicht, was in ihnen schlummert.
    Es ist tragisch. Grausam für die Eltern, Geschwister, Großeltern und alle Angehörigen. Ihnen spreche ich meine tief empfundene Anteilnahme aus. Mit kommen schon wieder die Tränen, obwohl ich keinen der Opfer kannte. Es ist einfach so sinnlos und traurig.
    Trotzdem wünsche ich allen noch einen schönen sonnigen Sonntag; machen wir einfach das Beste daraus.

    1. Danke für Deine Gedanken und Deinen liebevollen Kommentar. Nur bei einer Sache möchte ich einhaken: Ich glaube man kann jedem Menschen helfen, wenn man ihm zum richtigen Zeitpunkt erwischt. BEVOR er zum Täter wird. Auf dem Weg von “einer von uns” zu “einer von denen.”

  3. Liebe Svenja,

    ich habe Tränen in den Augen…weil es viele Gedanken sind, die mich seit Freitag auch oft begleiten…auch die Sinnlosigkeit.. und auch die Frage nach dem Warum beschäftigen mich. Ich habe einen Sohn, der wird im nächsten Monat 17 Jahre…Vor allem als er zwischen 14 und 15 war, habe ich mich oft um ihn gesorgt…er hatte “seltsame” Freunde und war nicht so super in der Schule, obwohl er sehr intelligent ist und viel mehr hätte leisten können. Noch heute spricht er oft von “ich kann das eh nicht schaffen”…oder er sagt Sätze wie “Für sowas bin ich eh zu dumm…”…wir loben ihn, wo es geht, wir begleiten ihn, wo es nur geht..ich gehe auch gerne unkonventionelle Wege, wenn es ihm hilft. Anfang des Jahres habe ich ihn aus der Schule genommen, weil er dort immer wieder Schwierigkeiten gemacht hat und sich Klassenlehrer und Sohn irgendwann in einer Spirale des Misstrauens befunden haben..ich habe dem ein Ende gemacht. Er besucht jetzt einmal wöchentlich die Berufsschulklasse, in der er sich super wohl fühlt, gute Noten schreibt und sehr gut zurecht kommt. Nach den Sommerferien startet sein Kurs, initiiert von der Berufsschule, in dem er seinen Mittelschulabschluss und im besten Falle seinen Quali machen kann. Er rauch nicht, trinkt nicht, nimmt keine Drogen, ist sehr empathisch und mitfühlend, aber ich weiß auch, dass er vieles in seinem Innern und ganz mit sich alleine ausmacht…Es sind Momente wie diese, in denen mir klar ist, dass es ganz wichtig ist, dass ich mit ihm und auch mit meinen beiden anderen Kindern unbedingt im Gespräch bleiben muss, dass ich ihnen klar machen muss, dass sie sich immer auf mich verlassen können…dass ich da bin…Auch die Doku von Uwe habe ich mir angesehen und in der Mutter von Markus sah ich eine ganz normale Frau…eine Mutter, die vermutlich auch das beste für ihre Kinder gewollt und versucht hat…die sich vermutlich nie hätte träumen lassen, dass ihr Kind einmal so eine Tat begeht…Mein Mutterherz blutet in diesen Tagen, denn ich stelle mir die Frage, ob wir überhaupt verhindern können, dass es irgendwann unsere Kinder sind, bei denen eine Sicherung durchbrennt….
    Ich grüße dich ganz herzlich und schicke dir eine feste Umarmung!
    Michi

    1. Ach Michi, so schön, dass Du Dir diese Gedanken machst. Denn Du – und ich habe schon so viele Deiner wunderbaren Gedanken lesen dürfen – kehrst Deine Emotionen nach außen. Du bist ein Ansprechpartner für Deine Kinder. Du erkennst ihre Bedürfnisse. Auch meine Kinder machen manche Sachen im Innern aus und vielleicht gehört das einfach zum erwachsen werden. Aber dass Du ihnen immer wieder signalisierst: Ich bin hier! DAS ist es, was sie stark werden lässt, da bin ich mir sicher. Drück Dich, Svenja

  4. Liebe Svenja.
    Ich danke dir, mal wieder für deine Offenheit. Du und deine Familie seid die einzigen Münchner die ich kenne. Ich hab so an euch gedacht und euch in meine Gebete eingeschlossen.
    Jede Tod eines jungen Lebens ist ein “nie mehr…” Und du beschreibst es treffend und sehr berührend. Nenn an jedem Menschenleben hängt immer auch Familie und deren “nie mehr” hat Auswirkungen auf die nächsten Jahrzehnte (ich hab gerade am 10.7 zum 30 jährigem Todestag meines Bruders darüber bei FB geschrieben)
    Und es ist immer wieder gut, sich bewusst zu machen, was ein “nie mehr” bedeutet, um vielleicht auch Prioritäten neu zu ordnen und zu überdenken. Um das Leben zu feiern und dankbar anzunehmen.
    Mein Vater hat zwei JVAs geleitet. Eine für Männer und eine für Frauen. Mich hat immer sehr bewegt, wie er über die Gefangenen gesprochen hat. Menschlich und voller Achtung für den Wert eines Lebens. Ohne zu entschuldigen. Aber anteilnehmend für ein Lebeb, dass so ganz anders verlaufen ist. Schon sehr früh. Manchmal von außen offensichtlich, aber auch leider häufig sehr unbemerkt. Wo Annahme, Liebe und Fürsorge, Bindung schlicht
    Das meine ich, wenn ich darüber schreibe, dass ich einen Unterschied machen möchte. Wir haben eine Syrerer im Frühjahr aufgenommen. Er bedankt sich täglich für alles Gute. Aber besonders, über unsere Zuwendung. Das rührt mich immer wieder neu.
    Danke, dir Svenja ??

    1. Danke Natalia – Deinen Post über Deinen Bruder habe ich leider nicht gefunden. Er muss ein toller Typ gewesen sein, denn ich kenne ja seine Schwester und ihr großes Herz – ein bisschen. Drück Dich und würde mir freuen, Du schickst mir den Text oder einen Link via FB Private Message. Svenja

  5. Die Eltern des Amokläufers, seine Lehrer und auch der Psychologe, bei dem er in Behandlung war, werden sich die Frage stellen und stellen lassen müssen, weshalb ihnen anscheinend die Radikalisierung und Isolierung ihres Sohnes, Schülers und Patienten verborgen blieb und weshalb sie anscheinend nichts unternommen haben. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass ein Elternteil nicht mitbekommt, dass der Sohn bei stundenlangem, alleinigem Computergewaltspielen abdriftet. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass Lehrer anscheinend mit Wegschauen und Banalisieren reagieren, wenn sie merken, dass ein Schüler vom Rest der Klasse gemoppt wird. Und es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass Ärzte anscheinend nichts unternehmen, wenn sie merken, dass von ihrem Patienten eine zunehmende Gefahr ausgeht (eine Parallele zum Germanwings-Amokpiloten). Niemand wird über Nacht zum Amokläufer. Es ist ein oft langer Prozess, bis einer, wie du so treffend schreibt, von “einem von uns zu einem von denen” wird.

  6. Liebe Svenja,
    nie haben wir uns gesehen, uns “nur” geschrieben, jetzt schon seit längerer Zeit nicht mehr, aber trotzdem weiß ich, dass wir sicher manchmal aneinander denken. So ging es mir am vergangenen Samstag . Als ich hörte, was in München passierte, war mein erster Gedanke bei Dir und Deiner Familie und dass Ihr hoffentlich alle beschützt seid.
    Mein zweiter Gedanke war, dass ich erst zwei Wochen zuvor ein wunderschönes Wochenende in München verbringen durfte und als ich auf dem Weg vom Flughafen zum Hauptbahnhof und 48 St. später wieder denselben Weg zurückfuhr, durch die wunderbar grüne Landschaft, begleitet von freundlichen Menschen in der S-Bahn, da dachte ich, was für ein schönes Fleckchen Erde ist doch dieses München. … und dann vierzehn Tage später so ein schlimmes Erlebnis.
    Frieden beginnt in jedem Einzelnen von uns, nur sind wir Menschen immer versucht, vom anderen zu erwarten, dass er mit der Veränderung beginnt, dabei liegt es an uns , den ersten Schritt zu tun. Es ist unser Lächeln, welches vielleicht das Herz eines anderen Menschen “öffnen” kann… Es sind unsere Worte, die verletzen oder heilen können .
    Und von der Macht der Gedanken ganz zu schweigen. … Alles was wird, ob “gut” oder “böse”, war erst einmal ein Gedanke… Sich dessen bewußt zu werden und die Tragweite dahinter zu erkennen, läßt mich dankbar sein für vieles. Unter anderem immer wieder für die vielen guten Impulse, die ich beim Lesen Deiner Artikel bekomme.
    Danke Dir, und fühl Dich gedrückt! Herzliche Grüsse Ute

    1. Liebe Ute, wie wundervoll von Dir zu hören. Ja, unsere Gedanken und unser Lächeln dürfen und müssen wir bewusster einsetzen. Dann werden “diese Zeiten” auch bald wieder anders aussehen. Davon bin ich fest überzeugt. Die Liebe kann was. Ich drück Dich zurück, Svenja

  7. Auf meiner Suche bei Google bin ich über Deine Beitrag gestolpert. Ich muss sagen, er hat mich zu Tränen gerührt. Deine Art zu schreiben und zu berichten ist was besonderes, außerdem hast Sudan Thema auf den Punkt gebracht, dafür danke ich Dir!

    Grüße aus Kassel

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